Ein Gespräch von Thomas Mießgang mit Robert Muntean  und Dirk Schönberger (Auszug)
        Mießgang: Robert Muntean, in Ihren Gemälden gibt es zahlreiche  Referenzen auf Popsongs, Bands oder, ganz allgemein, das Pop-Milieu. Ob das nun  Titel sind wie „Pink Moon“, eine LP von Nick Drake, „Kesey“, der sich auf den  Schriftsteller und Acid Test-Aktivisten Ken Kesey bezieht oder Arbeiten wie  „Digital Hardcore“, bei der man ein Fotomotiv des Schauspielers River Phoenix  durch die Farbschichten hindurch zu erkennen oder zumindest zu erahnen glaubt.  Besonders häufig werden Songs der archetypischen amerikanischen Underground-Helden  Sonic Youth genamecheckt. 
          Ist dieser Pop-Bezug eine Generationssache oder  einfach Ihre individuelle Leidenschaft?
  Muntean: Sonic  Youth waren für mich in meiner Jugend ein Schlüsselerlebnis, man könnte auch  sagen: eine Epiphanie. Ich wollte mir Mitte der 1990er Jahre einmal eine  VHS-Kassette von Nirvana kaufen und da war dann auch der Film „1991: The Year  PunkBroke“ mit einer Sonic Youth-Tournee drauf. Die Musik auf diese Weise in  einem Live-Setting zu erleben, war eine Initialzündung. Das beschreibt für mich  die formale Art, wie ich malen möchte: Wie Sonic Youth mit ihren Gitarren  umgehen und wie sie damit einen eigenen Sound kreieren. Die Mitglieder der Band  spielten ja ursprünglich in der Gruppe des Noise-Papstes Glenn Branca. 
          Dort wurde heftig mit Klang und mit offenen  Gitarrenstimmungen experimentiert, die sich nicht mehr direkt auf Akkordfolgen  beziehen liessen. Dieses Losgelöste und Abgekoppelte, die neuartige Weise, wie  man Gitarren verwenden kann, hat mich fasziniert. 
          Ich versuchte im Pinselduktus ein Äquivalent für  dieses spezifische Verhältnis von Sound, Noise, Dekonstruktion und Melodie zu  finden, in dem aus Atonalität melodische Elemente entstehen konnten.
  Mießgang: Es gibt in  der Kunst natürlich synästhetische Phänomene wie etwa das berühmte  Farbenklavier des Mathematikers Louis-Bertrand Castel aus dem 18. Jahrhundert oder später die  synästhetischen Experimente des Komponisten Alexander Skrjabin, bei denen ein  stummes clavier a lumiére zum Einsatz kam: Wenn man eine Taste niederdrückte,  leuchtete eine bestimmte Farbe auf. Ich nehme an, dass Ihr Interesse am Klang ein wenig  anders gelagert war?
  Muntean: Um eine solche direkte Übersetzung von akustischen  Phänomenen in visuelle geht es mir tatsächlich nicht. Es ist einfach so, dass Sonic  Youth und einige andere Popkünstler meinen Weg zum Erwachsenwerden begleitet  haben. Pathetisch könnte man sagen: Die Musik hat meinen Zugang zu  allen anderen Formen des Welterlebens  geregelt. 
          Als ich dann mit 18 begonnen habe, Kunst zu studieren,  war da ein gewisses Gefühl eingeschrieben, das bestimmte, wie ich meine Arbeit  angehen wollte. Es ging mir aber nie darum, den Sound von Sonic Youth zu  visualisieren, sondern um die Haltung, die dahintersteht: Eine Attitude, die  sich gegen das Dekorative, gegen eine allzu leicht Konsumierbarkeit richtet.  Dass es eine gewisse Art von Widerstand gibt.
   Das war es  auch, was ich gespürt habe, als ich das erste Mal Sonic Youth hörte: Man wurde  mit einem komplexen Klanggefüge konfrontiert, das man überhaupt nicht entschlüsseln  konnte und musste die Musik mehrmals hören, um sich überhaupt irgendwie  orientieren zu können. Wenn man es allerdings schaffte, diese Opazität zu  überwinden, ordnete sich vieles anders und neu. 
          In meiner Malerei versuche ich ebenfalls, so ein  Gefühl zu erzeugen: Eine Turbulenz und einen Widerstand, durch die der  Betrachter aktiviert wird, anders zu schauen und das Bild vielleicht ein wenig  mitzuerarbeiten.
  Mießgang: Nirvana wurden zwar durch den Hit „Smells like Teen  Spirit“ und das Album „Nevermind“ zum Megahit, aber davor gehörten sie der  gleichen Independent-Szene an wie Sonic Youth. Allerdings in der Seattle-Variante  mit Sub Pop-Bands wie Mudhoney, Tad oder Screaming Trees.
          Dirk Schönberger, wie haben Sie als langjähriger  Szenebeobachter damals diesen Durchbruch einer räudigen Underground-Combo zu  Superstardom erlebt?
  Schönberger: Nirvana  war vielleicht die letzte Teenager-Revolution, wenn man die vergangenen  zweieinhalb Jahrzehnte betrachtet. Aber für mich entwickelte sich das damals  sehr schnell in Richtung Pop: Die ganzen Strukturen erinnerten mich sehr stark  an das, was ich aus den siebziger und achtziger Jahren kannte. Ich empfinde ja  auch The Jesus and Mary Chain als Pop – eine Band wie Sonic Youth war im  Vergleich dazu immer viel sperriger und unzugänglicher. Wenn Du, Robert,  darüber redest und ich mich hier in Deinem Atelier umschaue, dann kann ich das  sofort wieder nachvollziehen: Diese Vielschichtigkeit, die sich nicht beim  ersten Hören erschliesst, spiegelt sich in deiner Kunst, deren Feinstruktur  sich ebenfalls nicht bei einem oberflächlichen Hinschauen entschlüsseln lässt.  Den Aspekt der Dekonstruktion, die Wall of Sound, den Noise-Teppich – das alles  könnte ich erkennen, auch wenn ich keine Vorinformation hätte. Aber eben auch  das total Kontrollierte, das irgendwo unter diesem Noise-Teppich auftaucht. Das  ist es auch, was Sonic Youth für mich unverwechselbar macht: Ihr Sound ist  komponiert und kein Zufall.
  Muntean: Sonic Youth haben ja selbst immer wieder darauf  hingewiesen, dass es ihnen um einen Transfer ging: Sie kamen von Glenn Branca  und der No Wave-Szene in New York und wollten diese Noise-Ästhetik in die  Popszene hineintragen.
          Aber, um noch einmal auf das  Verhältnis von Nirvana zu Sonic Youth zu kommen: Kurt Cobain war für mich so  ein exemplarisch Leidender, der, stellvertretend für die Tausenden im Publikum,  seinen Schmerz herausschreit. Bei Sonic Youth hingegen war das Coole, dass sie  noch etwas dazwischengeschaltet haben zwischen Emotion und Performance – eine  Art Kunstfilter. Dadurch bekam ich zum ersten Mal ein Gefühl, was Kunst sein  kann. Dass es nicht darum geht, sich selbst zu zerstören, sondern mit den  Mitteln der Reflexion und der Transformation zu arbeiten.
  Mießgang: Also Rock-Ekstase in Anführungszeichen, gewissermaßen  ...
  Muntean: Der Exzess ist mir ein zu expressionistischer Ansatz,  der mich eigentlich auch künstlerisch gar nicht so interessiert. Meine Bilder  sind keine Vehikel, um mein Ego im Pinselduktus darzustellen, sondern mir geht  es eher darum, Strategien zu entwickeln, wie man etwa die Energie von  Klangfeldern mit einem Motivkosmos kombinieren kann.
          (...)
  Mießgang: Als ich den Titel „River“ bei einer Ihrer Arbeiten  gelesen habe, dachte ich – Ungnade der frühen Geburt – zuerst an die  gleichnamige Platte des heute vergessenen Sängers Terry Reid aus den 1970er  Jahren. Das Cover dieses Albums strahlt eine flirrende Farbigkeit in Gelbtönen  aus, die man mit Ihrer Malerei zusammendenken könnte. Sie haben offensichtlich  etwas ganz Anderes im Kopf gehabt, aber schön ist es, dass die Titel der Bilder  Assoziationsketten triggern, die in alle möglichen Richtungen gehen können.
  Muntean: Ich möchte in den Titeln ja keine eindeutige  Bildinformation geben. Es ist eine Gratwanderung: Wie sehr lenke ich den  Betrachter in eine bestimmte Richtung? Wie sehr kann ich eine Offenheit  bewahren und trotzdem das Gefühl erzeugen, dass es da eine Konsistenz in der  Botschaft, in der Ästhetik, in der grundsätzlichen Haltung gibt? (deutet auf  ein Großformat, das an der Wand des Ateliers hängt). 
          Dieses Bild hier zum Beispiel heisst „Storm“, was sich  unmittelbar erschliesst, weil im visuellen Arrangement eine gewisse Turbulenz  stattfindet - man kann es von daher deuten. Andererseits gibt es einen gleichnamigen  Song von Godspeed You! Black Emperor und da geht es für mich darum, dass die  20-minütigen Postrock-Epen dieser Band so ausfransen, dass man sie als Ganzes  gar nicht unmittelbar begreifen kann. Erst bei mehrmaligem Hören erschliesst  sich das dann Schicht um Schicht. Auch bei meinem Bild habe ich das Gefühl,  dass sich alles auflöst, gewissermaßen in die Unendlichkeit taumelt.
  Mießgang: Die Musikentwicklung seit den 1960er Jahren ist ja  dadurch charakterisiert, dass immer mehr Spuren für Aufnahmen zur Verfügung  stehen. Dadurch kann eine monumentale Soundverdichtung stattfinden, die früher  so nicht vorstellbar war.
  Muntean: Ja, ich denke dabei an Bands wie Animal Collective,  die Spuren gegeneinander schichten oder Nine Inch Nails, bei denen ganze  Soundmassive aufgetürmt werden. Da sehe ich schon Parallelen zu meiner Arbeit:  Ich male ja in Schichten, in Layers und damit meine ich nicht, dass ich eine  Untermalung habe und langsam das Bild aufbaue, sondern es ist tatsächlich so,  dass jede Schicht wie eine für sich stehende Folie funktioniert und eigene  Formationen hat. Die werden dann übereinandergelagert und stossen oft auch mal  gegeneinander, erzeugen ein Prisma. Erst am Ende wird dann die Figur  eingeflochten. Man kann nicht mehr nachvollziehen, was die erste, die unterste  Schicht war, aber alles klingt mit. In gewisser Weise wird so eine farbliche  Polyphonie erzeugt.
  Mießgang: Bei  unserem Gespräch habe ich den Eindruck, dass Sie, Robert Muntean, vor allem an  komplex geschichteter Musik, die einen enormen Druck entfaltet, interessiert  sind. Da müßten doch eigentlich die Swans, die Urväter des New Yorker Lärms, in  Ihrem Universum eine Rolle spielen?
  Muntean: Ganz  recht. Vor allem die frühen Aufnahmen. Es gibt ein Live-Album mit dem Titel  „Feel good now“, das die Europatournee 1987 dokumentiert, aber auch die letzten  Platten sind wieder interessant. Ich habe die Swans ein paar Mal in Berlin an  der Volksbühne und im Berghain gesehen, das waren geniale Konzerte. Eine  Präsenz, bei der man den Sound als Körper erlebt. Das ist wie eine  Soundskulptur, die dich wegdrückt. 
          (...)
  Mießgang: Die Pop-Komponente ist, wie wir bislang im Gespräch  herausgearbeitet haben, ein ganz wesentlicher Teil Ihrer Kunst. Doch ich würde  in diesem Zusammenhang von einem erweiterten Popbegriff sprechen. Denn die Art  und Weise, wie Sie ein Bild von einer Mount Everest-Expedition oder ein Foto  von Egon Schiele in Ihrer Kunst einsetzen, ist für mich auch Pop.
  Muntean: Das sehe  ich auch so. Für mich gibt es da keine großen Unterscheidungen. Wenn ich heute  Michel Houellebecq lese, würde ich das auch als Pop bezeichnen. Es gibt da den  Roman „Unterwerfung“, in dem er über Joris-Karl Huysmans schreibt und das hat  mich wiederum zur Dekadenz des Fin de Siècle gebracht. So entstehen  Referenzsysteme, an deren einem Ende meistens ein Pop-Phänomen steht und die  ich für meine Arbeit fruchtbar zu machen versuche. Alldies sind keine  bewussten, von mir gesteuerten Prozesse, sondern es gibt Interessen und die  Tätigkeit des Malens gibt mir die Möglichkeit, da anzudocken und mich damit  auseinanderzusetzen.
  Mießgang: Wir haben  vorhin darüber gesprochen, dass in Ihrer Arbeit, Robert Muntean, Fotos als  Ausgangspunkt und Anregungsmaterial eine große Rolle spielen – es handelt sich  dabei um einen bewusst limitierten Bestand, wobei einzelne Motive auch durchaus  mehrfach auftauchen können. Was qualifiziert ein Bild dazu, in einem Gemälde  von Robert Muntean aufzutauchen?
  Muntean: Für mich spielt die Idee des Samplings in der Musik  eine Rolle. Ich „sample“ gewissermaßen und kann das dann unterschiedlich  malerisch bearbeiten. (...)