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Gabriel Goldgrien zur Ausstellung

THE PRIORITY PRINCIPLE
Vom Andersdenken und Andersscheitern

Das Priority Principle ist ein Begriff aus der Welt des Sportes, speziell dem Bodybuilding,  und beschreibt den Umgang mit Schwachstellen des eigenen Körpers im Training . Gemäss diesem Prinzip liegt der Fokus der Übungen vorrangig auf der gezielten Stärkung der noch schwachen, unausgebildeten Strukturen, denen somit besonderes Augenmerk geschenkt wird. Letztlich soll durch repetitives Training ein gut funktionierender und ausgewogener Körperapparat entstehen, der den gesellschaftlich normierten und eigenen ästhetischen Vorstellungen und Wünschen entspricht. Was schwach ist, soll gestärkt werden – dieser sehr simplen und nachvollziehbaren Methode überhaupt erst einen Titel zu geben und sie in den Rang eines Prinzips zu erheben, machte es für Moussa Kone zu einer interessanten Klammer für diese Ausstellung. Worauf zielt nun die Aufmerksamkeit des Künstlers im Arbeitsprozess, bei der Ausformung im Werk? 

Ines Hochgerner, Paula Müller und Moussa Kone arbeiten vor allem im Medium der Zeichnung. Der einfache und direkte Ausdruck der Linie eines Bleistiftes oder einer Tuschefeder steht im Fokus ihrer künstlerischen Gestaltung, wobei sie alle die sehr reduzierten und leichten Formen einer Linie immer wieder zu opulenten, dicht schraffierten Flächen ausbauen. Die manuelle Tätigkeit als Künstler bei der Produktion stellen sie damit gleichsam neben ihren Werken mit aus. Es finden sich zahlreiche Hinweise auf Techniken der Wiederholung, die dem oben genannten Trainingsprinzip nicht unähnlich sind. Geradezu zwanghaft ausgeführte Verdichtungen der Linien lassen rhythmisch repetitive Motive und Gedanken erkennen. Bildhafte Zitate, wie bei Moussa Kone oft auch seinen eigenen vorangegangenen Arbeiten entnommen, werden in einem Kreislauf in neue Zusammenhänge gestellt. Es bilden sich Muster, die entleert ihres ursprünglichen Inhaltes keiner Narration mehr folgen wollen oder können. Der Weg ist das Ziel, so ist das Ergebnis der zeichnerischen Arbeit bei Moussa Kone oft bewusst unvollständig gelassen. Ines Hochgerner verschraubt und verspannt ihre zeitaufwendig hergestellten, mehrere Meter langen Papierbahnen, allesamt betitelt „Bodybuilder“, so an der Wand, dass das traditionell flache Medium Zeichnung dreidimensionale Qualitäten bekommt und, so die Künstlerin, „nach der Körperlichkeit des Zweidimensionalen fragt“. In den neuen Arbeiten von Paula Müller wiederum ist es oft die Hand selbst, die nicht nur die Zeichnung herstellt, sondern auch tatsächlich abgebildet ist. Die Linien gezeichneten Hand bilden den Rahmen für verschiedene poetische Inhalte und ganze Landschaften. Gemeinsam mit einer Wandzeichnung, die direkt vor Ort hergestellt wurde, verknüpft sie geschickt die Werke auf Papier mit der darunter liegenden Ebene und schafft vielseitige Interpretationsmöglichkeiten und Blickrichtungen. Das dem Priority Principle zugrunde liegende Element der (körperlichen) Anstrengung und der Wiederholung der Ausführung, der Arbeit in Mustern, scheint bei Hochgerner, Mueller und Kone ein gemeinsamer Nenner zu sein, wenn auch in unterschiedlichen Weisen umgesetzt. „Üben, üben, üben!“, meint Paula Müller auch als wesentlichen Bestandteil der Kunst des Zeichnens zu erkennen, denn „die Zeichnung lügt nicht. Und Zeichner sind hart zu sich selbst, wie auch zum Betrachter.“  Die Einfachheit und universelle Anwendbarkeit der Zeichnung bringt eine Aussage im wahrsten Sinne des Wortes auf den Punkt, der auch am Beginn einer jeden Linie steht. „Man sollte klar formulieren, Dinge eingrenzen, Kontraste setzen können. Schon vor dem Aufsetzen des Stiftes auf dem Papier sollte man wissen, wo man hin möchte – ganz anders als bei Malerei.“, so Moussa Kone.

„If there was a thinking muscle, mine would be immense“, legt Paula Müller in einer ihrer Skizzen zur Vorbereitung der Ausstellung einer Comicfigur mit grossem Bizeps in die Sprechblase. Nur um im nächsten Panel mit der ironischen Erkenntnis „...and slightly unuseful“ fortzufahren. Warum braucht es eines Priority Principle, einer solch artifiziell anmutenden Lösung für die Sehnsucht nach dem Aufbau einer gewissen Stärke oder Kraft, wenn das Ergebnis dann doch ohne Wert, vielleicht sogar noch hinderlich ist? „Kunst und Leben sind eng miteinander verknüpft, persönliche Vorlieben oder Unzulänglichkeiten finden sich oft als Spiegel in den Arbeiten wider“, erläutert Moussa Kone. Der starke eigene Charakter der Kunstwerke zeichnet sich oft dadurch aus, dass er „ein Andersscheitern“ beinhaltet, denn ob des intensiven (geistigen) Trainings bei der Arbeit „kann der imaginative Zeichenmuskel auch ganz schlaff werden“, führt Paula Müller aus. So sind es in der Kunst und beim Künstler selbst oft gerade die Schwächen, die nicht wegtrainiert, sondern im Gegenteil soweit intensiviert und kultiviert werden, dass sie zu Stärken in der Arbeit heranwachsen. Das Publikum hat das voyeuristische Verlangen Zeuge von Obsession, Neurose und Manie zu werden – trotz aller Aufklärung – nie ablegen können. Das Priority Principle steht auch für diesen Antrieb zur künstlerischen Arbeit, der von Seiten des Publikums an den Kunstschaffenden herangetragen wird und, bewegt man sich in Künstlerkreisen, doch erstaunlich oft auch tatsächlich vollfüllt wird. Eigene Anlagen der Persönlichkeit werden so zum identitätsstiftenden Moment in der künstlerischen Produktion und es ist schwer abzugrenzen, ob die Künstler nun gesellschaftlichen Bedürfnissen nachkommen und versuchen einem Bild zu entsprechen oder wirklich aus eigener Freiheit heraus handeln. 

„Für das künstlerische Werk selbst ist es eine nicht zu unterschätzende Gefahr, einem Prinzip oder einer Prämisse zu folgen“, meint Paula Müller. Wege, die in der Vergangenheit zum Erfolg, das heisst zum abgeschlossenen Werk geführt haben, sollten dabei nicht allzu leichtfertig ausgetreten werden. Risiken müssen eingegangen werden. In jüngster Zeit hat  sich Paula Müller stark mit dem Medium des Comic auseinandergesetzt, das trotz seiner Aufwertung als „Graphic Novel“ generell weniger als Kunst, denn vielmehr als Handwerk betrachtet wird. In langen Versuchen destilliert sie Elemente aus diesem Genre heraus, um sie in ihrem Werk neu zu integrieren. Sie eignet sich eine neue Formensprache an und übt, übt, übt. Das Scheitern wird einkalkuliert und bildet einen wesentlichen Anteil daran, das eigene Werk entsprechend „jung und frisch“, so Moussa Kone, zu halten. Gerade das Widerständige ist es, das den Künstler antreibt und herausfordert, neue Akzente zu setzen. Im künstlerischen Produktionsprozess könnte man die Idee des Priority Principle nun denn auch als eine andauernde Suche nach möglichen Schwächen eines Werkes verstehen, als inhärentes Motiv, als Motor und Motivator. „Vielleicht ist es jenes Moment, das den Künstler am Arbeiten hält, trotz der Gewissheit um dessen utopischen Charakter“, ergänzt Ines Hochgerner.

Gabriel Goldgrien (*1962 in Berlin) ist Begründer des gleichnamigen Verlages für kulturtheoretische Schriften mit Sitz in Tel Aviv. Er lebt in London, unterrichtet am Institut für Kunsttheorie am Central Saint Martins College of Art and Design und ist Mitherausgeber der amerikanischen Zeitschrift Art Context. Dieser Text entstand nach Atelierbesuchen in Wien und Berlin bei den KünstlerInnen der Ausstellung.

Arnold Schwarzenegger: The new Encyclopedia of Modern Bodybuilding, Simon and Schuster Paperbacks, New York, London, Toronto, Sydney, 1985. p.192

 
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