Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eigenartig: Quer durch die Kunstgeschichte bedeutete immer die Malerei Reichtum an Ausdruck, war Opulenz schon im Ansatz von Themen. Sie war Entwicklungen unterworfen und ebenso der Diskussion – nicht immer wegen des Inhaltes, sondern vielmehr wegen der Möglichkeiten, durch Farbe Welt zu erzeugen, oder, wie Cezanne es ausdrückte, eine Welt parallel zur Wirklichkeit zu schaffen mit den Mitteln der Malerei. Verstehen Sie das Gesagte bitte nicht als Absolutheit. Aber es ist, so denke ich, ein Ansatz, über den gerade in dieser Ausstellung diskutiert werden kann. Noch etwas vorweg: Nicht alles, was hier dem Betrachter angeboten wird, ist Zeichnung, auch Malerei wird gezeigt und manche Mischformen sind zu finden. Erlauben Sie mir nun einige Bemerkungen zu den ausstellenden Künstlerinnen und Künstlern. Ich möchte dabei alphabetisch vorgehen. Eva Borsdorf ist sowohl mit Zeichnungen als auch mit Malerei vertreten. Sie ist 1966 in Stuttgart geboren, ist akademische Künstlerin und seit 2007 Mitglied im Künstlerbund Baden-Württemberg. Sie lebt in Reutlingen. Die Zeichnungen von Frau Eva Borsdorf zeigen eine sehr starke Beschäftigung mit dem Körper. Immer wider tauchen menschliche Organe auf und die Hand scheint eine wesentliche Rolle zu spielen. In einer durchgehenden Linienstruktur entwickelt sich eine Art Ornamentik, die schließlich Verweischarakter annimmt auf das scheinbar real gemeinte Organ, das aber plötzlich ausblüht und wuchernd wächst und so wiederum Realität verweigert. Auch Witz steckt in den Zeichnungen, wenn z. Bsp. der Betrachter beim ersten Hinsehen einen vermeintlich abgeschnittenen Finger entdeckt. Dabei bedient sich die Zeichnerin jedoch eines perspektivischen Tricks – der Finger ist nicht abgeschnitten, sondern durchstößt sozusagen den Bildraum und ragt – unsichtbar – in einen imaginären Raum hinein. Zeichnerische Phänomene dieser Art sind schon in der Renaissance zu beobachten, wenn etwa Luca Signorelli in einer Darstellung des Jüngsten Gerichtes die aus der Erde Kommenden Auferstehenden darstellt, als wären sie abgeschnitten, wobei aber der Körper eben noch im Boden steckt, der nur durch eine Linie gekennzeichnet ist Ein Blick auf Richard Bösch: Er ist Maler, und er lehnt es ab, über seine Malerei zu theoretisieren. Er sagt aber einen spannenden Satz: „Sie“, die Malerei also, „ist für mich eine taugliche Form zweckloser Tätigkeit, die ich wie die Kinder im Spiel zur Selbstverlorenheit brauche ...“ Hier begegnet er unmittelbar auch Irmengard Schöpf, die in einem hier ausgestellten Tagebuchbild vom 26.X.2002 vermerkt: „Der Mensch reifte zum Menschen, als ihm das Nutzlose unentbehrlich wurde.“ Sind nicht das Zwecklose und Nutzlose – wie etwa Kunst oder Philosophie, oder Musik und alles Schöngeistige, somit letztlich alles Unproduktive, – die eigentlich essentiellen Dinge des Menschen? Auch hier ein Beispiel, im Land Vorarlberg geschehen: 1946 wurden die Bregenzer Festspiele gegründet. Kälte herrschte in den Wohnungen, Hunger stand auf den Speisekarten und anstelle von wärmenden Decken wollte man Musik! Verrückt? Nein, vielmehr ein Beweis dafür, dass die unsere Seele betreffenden Dinge die wichtigsten sind! Immer wieder wird gefragt: Cui bono? Wem nützt es? Müssten wir nicht eher fragen: Cui pulchro? Für wen ist es schön? Noch ein Weiteres zu Richard Bösch: Malen, so Bösch, müsste für einen Maler sein erstes Ideal sein! Da er kein erstes habe, sei das Malen sein zweites. Emi Rendl Denk, Jahrgang 1965, heute Assistentin von Prof. Frohner an der Hochschule für Angewandte Kunst. Bei ihr mischen sich die Zeichnung und die Malerei. Ihre Arbeiten wirken als spontane Beobachtungen alltäglicher Begebenheiten ,die sie mit Versatzstücken der Alltagskultur ebenso darstellt wie mit Formen, die sich harmonisch zueinander fügen, jedoch nie uniform werden. Die Alltäglichkeit wird sozusagen stilisiert und farbig in Szene gesetzt, was dem Ganzen schließlich ein Gepränge gibt, als zögen Pfauen zu einem Wettstreit mit den Musen in die Arena. Was sie malt, sind nicht menschliche Figuren, sondern sozusagen deren Grundzeichen. So wird es dem Betrachter möglich, die stilisierte Szene in das Repertoire seiner Erinnerung zu integrieren und damit Identifikation zu ermöglichen. Es sind Bildwelten der Vermenschlichung von Formen. Dazu kommt, dass Emi Rendl Denk ihre Arbeiten mit Werktiteln versieht, die für sich wieder literarische Gebilde sind. Gesine Probst-Bösch (1944 – 1994) benötigte wohl eine eigene Vernissage, weil ihr Werk sich nur dann erschließen lässt, wenn man es im Kontext ihres Lebens und ihrer literarischen Tätigkeit begreift. Hier nur so viel zu den ausgestellten Arbeiten: Diese Arbeiten, in den letzten drei Lebensjahren in München entstanden, wo sie ihr Erfolgsgebiet, die Literatur, nahezu aufgegeben hatte, beeindrucken durch klare Linienführung und ihre Ausstrahlung von Geheimnisvollem, Unergründbarem. Überraschend und überzeugend sind die Schlichtheit und Einfachheit ihrer Zeichnungen, die sich aber trotzdem der schlüssigen Interpretation entziehen. Jedoch: Was Gesine Probst anbietet, ist das Surreale, das über dem Wirklichen Liegende, das bereits Breton in seiner Definition von Surrealismus beschrieben hat. Die zeichnende Hand gehorcht nicht unbedingt dem ordnenden und rationalistisch agierenden Willen. Sie schreibt jedoch automatisch nieder, was an Gedanken fließt und nach Ausdruck sucht. Probst scheint sich damit der Greifbarkeit und der Begreifbarkeit zu entziehen. Dennoch: Das uns Bekannte in ihren Zeichnungen beruhigt uns, jedoch der verwandelte Gegenstand – gezeichnet und mit seltsam mehrdeutigem Titel versehen – irritiert. Bedeutungen kippen und aus dem Untergrund schälen sich neue, unvermutete Bedeutungen heraus. Norbert Pümpel, Jahrgang 1956, seit 1982 freischaffend tätig, lebt heute in Landeck. Norbert Pümpel kommt von der Concept Art. Seine eigentliche Leidenschaft jedoch ist die Physik, genauer: die Quantenphysik, die völlig neue Realitätsvorstellungen und einen völlig neuen Exaktheitsbegriff eingeführt hat. Ein Beispiel: Mondrain mit seinen scharf farblich und grafisch abgegrenzten und geordneten Bildern, linear und farbig feinst ausgewogen, ist uns ein Begriff. Diese Exaktheit und Schärfe Mondrians gibt es nach der Quantenphysik nicht mehr. Die Dinge sind dort immer in einem schwebenden Zustand – man könnte auch sagen: verschmiert, da sie sowohl 99,9% so sind aber gleichzeitig zu 99,9% auch anders sind. Pümpels Bilder scheinen an diesem Phänomen hängen zu bleiben. Jedoch sind sie Fluktuation von Materie (= gleich Energie) zur Idee. Was allerdings in diesen philosophisch künstlerischen Betrachtungen deutlich wird, ist die Notwendigkeit einer metaphysischen Welt. Somit, auch hier verkürzt ausgedrückt, beschäftigt sich Norbert Pümpel längst nicht mehr mit der Herstellung oder Schöpfung von Bildern, sondern seine Arbeit – und ich zitiere ihn - ist ein Grübeln über die Welt, ein Philosophieren mit den Mitteln der Kunst. Udo Rabensteiner, Jahrgang 1958, Holz- und Steinbildhauer. Seit 1950 freischaffender Künstler in Dornbirn. Miriam Rieker, Jahrgang 1974, lebt und arbeitet auf Schloss Zeil in Leutkirch im Allgäu. Elen Rolih, Jahrgang 1979, lebt und arbeitet in Winterthur. Fred Schneider, Jahrgang 1963, lebt als freischaffender Künstler in München. In der Presseaussendung heißt es, er sei überzeugter Autodidakt. (Warum dieser Hinweis.? Macht ein Autodidakt andere Kunst als ein Akademiker?) und: sein Hauptinteresse gelte der informellen Malerei. Ich würde das, was ich zu sehen bekommen habe, als eine Art poetischen Realismus sehen. Seine Bilder sind Schichtungen von Farb- und Gedankenwelten, welche Räume bilden, fast farbtrunken wirken. Gestisch sind die Farben gesetzt, überkritzelt, mit skripturalen Motiven versehen. Sie setzen zu Erzählungen an, unterbrechen sie, schieben neue Gedanken quer hinein. Trotz aller Gestik und Farbintensität: die Bilder verführen zum einen, sperren sich aber auch gegen einfache Interpretation. Irmengard Schöpf – ich freue mich, dass auch diese Altmeisterin der Zeichnung mit ihren Tagebucharbeiten hier Platz hat und deutlich macht, dass „Junge Kunst“ nicht unbedingt von jungen Künstlern allein gemacht wird. Irmengard Schöpf bietet Tagebuchbilder an. Manchmal wirken sie, als wären sie einfach im Nachdenken entstandene Kritzeleien, unbewusst entstanden; anderen sind Sinnsprüche eingeschrieben wie der schon erwähnte vom Menschen , der zum Menschen reifte, als ihm das Nutzlose unentbehrlich wurde. Manche Bilder, ohne unmittelbar konkret fassbaren Inhalt, sind wohl Gedankenniederschriften in feinster Linienschrift, deren Code uns allerdings unbekannt ist. Es ist, als würden sich Gedanken in Synapsen organisieren zu einem Gewebe von emotionalen Strukturen, die man erfühlt, von denen man weiß, dass man sie kennt. Aber, man kann sie nicht verbalisieren; sie fügen sich nicht zum realen Bild. Dadurch bleiben sie offen und frei als Botschaften an unser Sensorium, ohne ihre weite Dimension einzudämmen durch eindeutige Definition. Was Irmengard Schöpf eigentlich zur Verfügung stellt, ist das Intimste – nicht das Private. Dieses Intimste, die Freude und das Leiden an unserer Welt, täglich anders und neu erlebt, ist der unmittelbare Berührungspunkt mit uns Betrachtern. Dieses Intimste ist jener Bereich einer unausgesprochenen Vertrautheit, der uns letztlich, bei aller Individualität, verbindet. Noch ein letzter Satz: Alles, was ich hier heute Abend über die Kunstwerke gesagt habe, mag durchaus Gültigkeit haben. Aber, und das ist mir wichtig: Das Kunstwerk konstituiert sich immer mit dem Betrachter, also mit Ihnen! Und noch etwas: Sie sind es, die ihm jene Überzeugungskraft verleihen, die vom Künstler angestrebt ist! Mag. Albert Ruetz
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